Ein Navigationssystem für Corporate Social Responsibility

Steinbeis-Experten entwickeln einen Radar mit, der Unternehmen hilft ihren gesellschaftlichen Beitrag besser zu steuern

Die steigenden Kosten des Klimawandels, umfassendere Auflagen der Gesetzgeber und höhere Anforderungen von Investoren machen klar: Nachhaltiges Handeln ist eines der Leitprinzipien unserer Zeit. Stakeholder stellen hohe Ansprüche an
Unternehmen, sodass diese Nachhaltigkeit als Erfolgskriterium in ihren Strategien verankern. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen haben dabei oft Probleme: Wie soll gesellschaftliche Verantwortung in messbare, handlungsorientierte Ziele überführt werden? Mangelnde Nachhaltigkeit ist als Reputationsrisiko erkannt, doch die vielfach auf Freiwilligkeit aufbauende Regulierung ist komplex und schwer zu durchschauen. Das Team des Steinbeis-Transfer-Institutes zeb/business.school entwickelt gemeinsam mit Experten der Unternehmensberatung zeb und der Funk Stiftung ein System, das Unternehmen hilft, systematisch Handlungsziele abzuleiten und für diese von Regulatoren und Investoren akzeptierte Kennziffern festzulegen.

 

Verstöße gegen öffentliche Erwartungen stellen erhebliche Reputationsrisiken dar. Seit dem 18. April 2017 fordert zudem das CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz (CSR-RUG) umfangreiche Berichterstattung zur „Corporate Social Responsibility“ (CSR) von kapitalmarktorientierten Unternehmen, Banken und Versicherungen mit im Jahresdurchschnitt mehr als 500 Mitarbeitern. Für Unternehmen resultieren hieraus einige Herausforderungen: Zum einen besteht nach wie vor eine starke Begriffsunklarheit. Wie grenzt sich Nachhaltigkeit beispielsweise von Corporate Social Responsibility ab? Ist damit mehr gemeint als Umweltschutz und Emissionsreduktion? Zum anderen findet sich nach wie vor keine einheitliche gesetzliche Regulierung, die über das CSR-RUG hinausgeht. Stattdessen steht es Unternehmen frei, sich zahlreicher Richtlinien, Leitlinien, Kodizes, Policies sowie Siegel und Ratings zu bedienen, um ihre Unternehmensverantwortung in mess- und steuerbare Ziele herunterzubrechen. Die verwendeten Kennziffern und Parameter sind zumeist relativ starre Rahmen, deren Inhalte weitgehend unverbunden nebeneinanderstehen. Zudem fehlt oft eine Ableitung von Maßnahmen und deren Wechselwirkungen.

CSR und Nachhaltigkeit: Wo liegt der Unterschied?
Nachhaltigkeit bezeichnet die Fähigkeit eines wirtschaftlichen oder ökologischen Systems, sich selbst zu regenerieren und sich somit dauerhaft selbst zu erhalten, ohne dass das System zusammenbricht. Die Sicherstellung der Nachhaltigkeit ist somit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, zu der Unternehmen einen Beitrag leisten können. CSR bezeichnet das Ausmaß, in dem ein Unternehmen Verantwortung für die Auswirkungen seines Handelns auf die Gesellschaft übernimmt und gesellschaftliche Normen anerkennt. Verstößt ein Unternehmen gegen berechtigte Ansprüche der Gesellschaft, droht der Entzug von Ressourcen, da zum Beispiel Kunden und Lieferanten abwandern oder öffentliche Skandale die Reputation beeinträchtigen.

Besserer Durchblick mit dem CSP-Radar
Gefördert von und in enger Zusammenarbeit mit der Funk Stiftung entwickelt das Expertenteam am Steinbeis-Transfer-Institut zeb/business.school derzeit einen Radar für die „Corporate Social Performance“ (CSP-Radar). Unter CSP verstehen die Steinbeis-Experten die Differenz zwischen der Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung (CSR) und verantwortungslosem Unternehmensverhalten (Corporate Social Irresponsibility, CSI). Ein Unternehmen kann zum Beispiel gleichzeitig in soziale Projekte investieren und Schmiergelder an Industriekunden zahlen. Die im Radar aufgelisteten Faktoren stehen nicht einfach nebeneinander, sondern überschneiden und beeinflussen sich: Beispielsweise kann eine technologische Innovation mit einer gesteigerten Energieeffizienz und gleichzeitig mit gesenkten Emissionen und einem geringeren Ressourcenverbrauch einhergehen.

Ein Problem der verfügbaren Richtlinien und Kennziffern ist die scheinbar unvermeidliche Willkür in der Auswahl relevanter Faktoren. „Dieses Problem versuchen wir über den Einsatz KI-basierter Textanalyse zu lösen: Über computergestützte Themenanalyse, sogenanntes Topic Modeling, haben wir fast 4.000 Seiten relevanter Quellen zur Beschreibung von Nachhaltigkeit und ESG-Standards gesammelt und klassifiziert“, erklärt Steinbeis-Experte Professor Dr. Joachim Hasebrook. Auf Basis der Häufigkeit und Koinzidenz wurden zentrale Konzepte identifiziert und die herausgefiltert, die sich auf das konkrete Unternehmenshandeln beziehen. Dies wurde über die Extraktion aller Konzepte erreicht, die mit Begriffen wie zum Beispiel Aktivität, Maßnahme, Ziel, Leistungsindikator usw. hoch korrelieren. Durch Interviews mit Fachleuten der Funk Stiftung und der Steinbeis-Hochschule hat das Projektteam aus den über 260 Handlungskonzepten schließlich 26 zentrale, gut beschreibbare und messbare Handlungsfelder identifiziert. Diese wurden in einem „Radar“ zusammengefasst, an dem sich das Unternehmenshandeln ausrichten lässt.

Ergänzend wurden bestehende Kennziffernsysteme zur Messung von CSR und ESG (Environmental Social Governance), beispielsweise die Ratings aller DAX 30-Unternehmen und Vorgaben der European Banking Authority (EBA) untersucht und mehr als 300 Kennziffern erfasst. Auch hier identifizierte das Projektteam 70 Kennziffern als „Key Performance Indicators“ (KPI) und ordnete sie den Handlungsfeldern zu. Der CSP-Radar hilft dabei, sich im Labyrinth der unterschiedlichen Fachbegriffe von Nachhaltigkeit über CSR, CSP und ESG besser zurechtzufinden, konkrete, handlungsorientierte Ziele für das Unternehmen zu bestimmen und durch KPI zu steuern.

Simulationsmodell und Systementwicklung
Aktuell werden die identifizierten Handlungsfelder mit ihren zugehörigen Kennziffern in einem KI-basierten Simulationsmodell modelliert, das die 26 Handlungsfelder, 70 Kennziffern und mehr als 600 Verknüpfungen der Faktoren untereinander berücksichtigt. Daraus werden die Wirkbeziehungen der Handlungsfelder untereinander kurz-, mittel- und langfristig bestimmt. Hierbei werden Einflüsse berücksichtigt, die sich im Zeitverlauf gegenseitig verstärken oder hemmen. Auf diese Weise können Handlungsfelder identifiziert werden, die sich gegenseitig stark beeinflussen, beispielsweise Ressourcenverbrauch und Emissionen. Das letztendliche Tool soll im Browser sowie per App die Handlungsfelder zur Verfügung stellen und diesen Kennziffern und Erläuterungen zuordnen. Auf dieser Basis können ein CSP-Reifegrad individueller Unternehmen sowie eine Scorecard als Basis für strukturierte Berichtserstellung abgeleitet werden.

Kontakt

Prof. Dr. Joachim Hasebrook (Autor)
Leiter des Forschungsprojekts
Steinbeis-Transfer-Institut zeb/business.school (Baden-Baden)
www.zeb-bs.de

Prof. Dr. habil. Michael Lister (Autor)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Transfer-Institut zeb/business.school (Baden-Baden)
www.zeb-bs.de

Martin Wolfslast (Autor)
Consultant
zeb.rolfes.schierenbeck.associates gmbh (Münster)

215405-50