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Innovativ und nachhaltig durch mehr Kreislaufwirtschaft

So lässt sich der Kreislaufgedanke in der Wirtschaft erfolgreich umsetzen

Der Transformationsprozess in Wirtschaft und Gesellschaft ist stark von Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Resilienz getrieben und durch die aktuelle Pandemie beschleunigt worden. Das Thema Nachhaltigkeit ist inzwischen in allen Technologiebereichen angekommen und rückt im Kontext der Ziele des europäischen Green Deal in den Fokus ebenso wie die Chancen, die sich durch eine Kreislaufwirtschaft ergeben. Das Steinbeis Europa Zentrum stellt sich diesen Herausforderungen und trägt mit seinen Projekten dazu bei, dass neue Wertschöpfungsketten entstehen.

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Eine Kreislaufwirtschaft rückt den Wert von Produkten, Materialien und Ressourcen in den Mittelpunkt mit dem Ziel, diese so lange wie möglich zu erhalten: Je weniger Produkte wir wegwerfen, je mehr wir diese in den Produktkreislauf zurückführen, desto weniger Material muss neu gewonnen werden – mit den entsprechenden Vorteilen für unsere Umwelt und Lieferketten. Hier liegen große Potenziale und Chancen für Innovationen und Geschäftsmodelle. Das Steinbeis Europa Zentrum zeigt an drei konkreten Projekten, wie dies gelingen kann.

Recycling von seltenen Erden
Viele Hightech-, aber auch Alltagsprodukte wie Waschmaschinen oder Heizungspumpen verwenden Permanentmagnete auf Basis seltener Erden. Diese werden zwar auch in Deutschland abgebaut, der Großteil muss jedoch importiert werden. Ihre Gewinnung geht mit enormen Umweltbelastungen und entsprechenden Auflagen einher: Die Aufbereitung der im Tagebau gewonnenen Erze erzeugt große Mengen an problematischen Abfällen wie Laugen, Säuren und radioaktive Beiprodukte. Die monopolähnliche chinesische Marktdominanz, die aufgrund der in den letzten Jahren oft nicht vorhandenen Umweltauflagen chinesischer Unternehmen eine konkurrenzlos kostengünstige Produktion erlaubte, bereitet der europäischen Industrie daher Sorgen. Um den europäischen Markt zu stärken, hat die EU im Herbst 2020 die Europäische Rohstoffallianz gegründet, deren Priorität auf der Sicherung der Rohstoffe für Permanentmagnete liegt. Die Allianz plant die Erhöhung der Versorgungssicherheit mit Magnetwerkstoffen durch die strategische Zusammenarbeit mit stabileren Partnern wie Kanada und Australien und konzentriert sich auch auf die Wiederverwertung der heute im europäischen Markt befindlichen 20.000 Tonnen Permanentmagnete.

Einen wichtigen Beitrag dazu liefert die Hochschule Pforzheim mit dem EU-Projekt SUSMAGPRO. Professor Dr. Carlo Burkhardt vom Institut für strategische Technologie- und Edelmetalle arbeitet mit dem Steinbeis Europa Zentrum und 16 weiteren europäischen Partnern aus Wissenschaft und Industrie an der Entwicklung einer Recycling-Lieferkette für Seltenerdmagnete: Durch einen abgekürzten Recyclingprozess wird mithilfe von Wasserstoff im patentierten HPMS-Verfahren das Magnetmaterial versprödet und pulverisiert. HPMS steht für hy­drogen processing of magnetic scrap, auf Deutsch Hydrierung von Magnetabfällen. Das Pulver kann direkt wieder zu Magneten verarbeitet werden, was eine Energieeinsparung von über 90 % gegenüber der Primärproduktion und eine 98 % geringere Toxizität ermöglicht. Bis 2024 sollen in vier Pilotanlagen in Schweden, Großbritannien, Slowenien und Deutschland jährlich 110 Tonnen Magnetabfall recycelt werden. Davon profitieren unter anderem Offshore-Windkraftanlagen, Elektroautos und Wasserpumpen. Durch konsequentes Recycling von Bauteilen mit hohem magnetischem Anteil will man mittelfristig eine Recyclingquote von 15-25 % erreichen. Die Arbeiten werden von der EU mit rund 13 Millionen Euro gefördert. Davon gehen 3,4 Millionen Euro allein nach Baden-Württemberg an die Hochschule Pforzheim, die ZF Friedrichshafen AG, das Steinbeis Europa Zentrum und die MIMPlus Technologies GmbH & Co. KG.

Das Steinbeis Europa Zentrum unterstützt die wissenschaftliche Koordination des Projekts, kümmert sich um die Vernetzung der Forschungs- und Innovationsakteure auf europäischer Ebene sowie um die breite Öffentlichkeitsarbeit. Es entwickelt und analysiert die Verwertungsmodelle und wird bei der Verbreitung der Forschungsergebnisse unterstützen.

Kreislaufwirtschaft in der industriellen Fertigung
Auch in der industriellen Fertigung sind zirkuläre Wirtschaftsstrategien gefordert. Das verarbeitende Gewerbe spielt für Innovation und Wachstum in Europa eine tragende Rolle, denn veraltete Maschinen und ungeplante Ausfallzeiten können erhebliche Verluste verursachen. So begleitet das Steinbeis Europa Zentrum im EU-Projekt RECLAIM ein Konsortium von Forschern und Industrieunternehmen aus neun Ländern, darunter die Harms & Wende GmbH & Co. KG mit Sitz in Hamburg und Karlsruhe. Ziel ist es, die Überalterung von Industrieanlagen zu reduzieren und Wirtschaft und Umwelt zu stärken. Durch eine digitale Nachrüstung sollen Störungen und Produktionsausfälle verhindert und die Energie- und Materialbilanz verbessert werden. Die EU fördert das Projekt mit 22 Partnern mit rund 13 Millionen Euro.

Das Projekt konzentriert sich auf die Nutzung digitaler Analytik, des Internets der Dinge (IoT) und zirkulärer Wirtschaftsstrategien zur Verbesserung der Instandhaltung und Modernisierung von Altmaschinen. Der technologische Kern ist ein neuartiges Entscheidungsunterstützungskonzept, das die optimale Modernisierung und Wiederaufbereitung von großen Maschinen und Robotersystemen steuert. Das Konzept nutzt IoT-Sensoren und innovative Prognose- und Prozessoptimierungstechniken, um die Lebensdauer der Maschinen zu verlängern und dadurch die Produktivität zu steigern. Fog-Computing und Augmented-Reality-Techniken werden mit Methoden zur Zustandsüberwachung und Fehlerdiagnose kombiniert, die Materialeinsatz, Energieeffizienz und Wartungsmöglichkeiten verbessern. Harms & Wende wird als einer von fünf Pilotstandorten die Anwendung in der Schweißtechnik testen. Weitere Sektoren sind die Holzverarbeitung (Schweiz), Textil (Türkei), Robotik (Slowenien), weiße Waren (Tschechien) und die Schuhproduktion (Spanien). An allen Standorten wird auf eine enge Zusammenarbeit mit der Industrie geachtet, um die Technologien durch einen Bottom-up-Ansatz zu entwickeln.

Das Steinbeis Europa Zentrum ist als Projektpartner für die Verwertung der Ergebnisse verantwortlich und kümmert sich um Synergien mit nationalen und europäischen Projekten und Initiativen, wie zum Beispiel EFFRA, der Europäischen Assoziation für Forschung im Bereich Fabriken der Zukunft.

Leichtbaukomponenten für Elektrofahrzeuge
Da Elektroautos von schweren Batterien angetrieben werden, müssen Automobilhersteller und -zulieferer nach neuen Leichtbautechnologien suchen, um dieses Mehrgewicht in anderen Fahrzeugkomponenten zu kompensieren. Diese Technologien können direkt dazu beitragen, die Fahrzeugeffizienz in Bezug auf den kWh-Verbrauch pro Kilometer und die Fahrzeugreichweite zu verbessern und die Umweltbelastung zu reduzieren. Aus diesem Grund werden in dem von der EU mit 4,9 Millionen Euro geförderten Projekt LEVIS kosteneffiziente Leichtbaukomponenten für Elektrofahrzeuge entwickelt.

Das Steinbeis Europa Zentrum begleitet hier 12 Industrie- und Forschungspartner aus sechs Ländern bei der Entwicklung dieser Leichtbaukomponenten für Elektrofahrzeuge unter Anwendung von Ökodesign- und Kreislaufansätzen. Die technische und wirtschaftliche Machbarkeit sowie die Umweltauswirkungen werden anhand von drei realen Demonstratoren aufgezeigt: einem Querlenker, einer Batteriehalterung und einem Querträger. Hierfür werden auf thermoplastischen Verbundwerkstoffen aus Kohlenstofffasern basierende Multi-Material-Lösungen verwendet, die optimal mit Metallen integriert sind und mit kostengünstigen und skalierbaren Fertigungstechnologien hergestellt werden. Dank ihrer hervorragenden mechanischen Eigenschaften sind diese Verbundwerkstoffe bei fachgemäßer Kombination mit Metallen ideal für Leichtbauanwendungen geeignet. Für die Herstellung der Zielkomponenten werden recycelbare und biologisch hergestellte Harze und recycelte Kohlenstofffasern verwendet. Darüber hinaus wird die Lebensdauer der Komponenten maximiert und alle strukturellen Bestandteile werden so konstruiert, dass eine einfache und effektive Demontage und Wiederverwendung der Komponenten möglich sind. Diese innovativen Elektrofahrzeugkomponenten sollen bis zum Projektende in den Markt eingeführt werden. Das Steinbeis Europa Zentrum ist für die Verbreitung und Verwertung der Projektergebnisse verantwortlich.


EU Horizon 2020 programme

SUSMAGPRO has received funding from the European Union’s Horizon 2020 research and innovation programme under grant agreement No 821114.
RECLAIM has received funding from the European Union’s Horizon 2020 research and innovation programme under grant agreement No 869884.
LEVIS has received funding from the European Union’s Horizon 2020 research and innovation programme under grant agreement No 101006888.


„Die Sensibilisierung von Gesellschaft, Politik und Industrie ist einer der Schlüssel“
Im Gespräch mit Maëva Pratlong, Project Manager Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft

Frau Pratlong, die Idee der Kreislaufwirtschaft ist an sich nicht neu, warum rückt sie momentan erst in den Mittelpunkt?

Aktuell wächst sehr stark das Bewusstsein dafür, dass Rohstoffe nicht unerschöpflich und manchmal schwer zugänglich sind, zum Beispiel wenn ihre Gewinnung und Verarbeitung ökologische oder gesellschaftliche Herausforderungen mit sich bringen oder wenn ein Land ein Quasi-Monopol hat und dieses als politisches Druckmittel einsetzt. Wir sehen weitere Hürden, wenn die Preise exorbitant werden, ein Krieg in einem Produktionsland oder eine Pandemie die Lieferketten behindern. Die Kreislaufwirtschaft zeigt im Hinblick auf diese Probleme mehrere Wege auf: Zum einen indem die Lebensdauer von Produkten so weit wie möglich verlängert wird, zum Beispiel durch Erhöhung der Reparierbarkeit, der Reparaturkapazitäten oder der direkten Wiederverwendung, zum anderen durch die Förderung des Recyclings, zum Beispiel durch die Steigerung der Attraktivität der Abfallsammlung. Ein weiterer Weg ist die Erfassung und Verfolgung der Mengen und Verwendungen von Rohstoffen in der gesamten Wertschöpfungskette, unabhängig von der Anzahl der Akteure und deren Standorte, zum Beispiel durch den Einsatz digitaler Technologien. Auch die maximale Weiterverwendung von Nebenprodukten, Abfällen und Rückständen bei der Verarbeitung von Rohstoffen entlang der Wertschöpfungskette ist in diesem Zusammenhang wichtig.

Wie können Unternehmen wie auch Gesellschaft von der Kreislaufwirtschaft profitieren?

Die Kreislaufwirtschaft trägt zu einer größeren Versorgungssicherheit und Widerstandsfähigkeit unserer Wertschöpfungsketten bei und integriert gleichzeitig die Prinzipien der Nachhaltigkeit und Inklusion. Sie hilft, unsere Strukturen im Hinblick auf Gebäude, Städte, Industrie- und Gewerbegebiete oder Lieferketten für eine größere Symbiose bei der Nutzung von Ressourcen zu überdenken, schafft neue Arbeitsplätze und Berufe und hilft dabei, die Ausbildungs- und Umschulungskapazitäten zu erhöhen. Darüber hinaus entwickelt sie neue Geschäftsmodelle, die es Unternehmen ermöglichen, nachhaltige Prozesse und Produkte zu integrieren und auf diese Weise wettbewerbsfähig zu bleiben. In einigen Fällen ermöglicht die Kreislaufwirtschaft sogar die Eroberung neuer Märkte oder Sektoren, oder sie schafft Zugang zu neuen privaten, öffentlichen oder partizipativen Finanzierungsquellen mit starken nachhaltigen Kriterien.

Sie beschäftigen sich unter anderem mit der Kreislaufwirtschaft von seltenen Erden, was sind die größten Herausforderungen dabei?

Seltene Erden werden weltweit als kritische Rohstoffe erkannt, nicht weil sie wirklich selten sind, sondern weil sie schwer zugänglich sind. Wir nutzen sie bereits für viele strategische Anwendungen, wie erneuerbare Energien, Verteidigung, Telekommunikation und Luftfahrt, aber auch bei Produkten des Alltags. Derzeit arbeite ich im Projekt SUSMAGPRO mit, das sich auf die Rückgewinnung und Wiederverwendung von seltenen Erden konzentriert, die bei der Herstellung von Permanentmagneten verwendet werden, wie Neodym und Dysprosium. Aktuell deckt die europäische Produktion von Permanentmagneten auf Basis seltener Erden weniger als 10 % des europäischen Bedarfs. Die Produktion und Verarbeitung dieser seltenen Erden findet fast ausschließlich in China statt und der Großteil der Magnetproduktion ist diesem Trend gefolgt.

Europa ist in diesem Bereich mit einer sehr niedrigen Recyclingrate konfrontiert – weniger als 1 % und die Gründe dafür sind vielfältig. Ich würde sagen, dass unsere größten Herausforderungen heute in der schwierigen Rückverfolgbarkeit von Materialien, in der Konzentration von verbrauchten seltenen Erden in wirtschaftlich attraktiven Mengen für die Rückgewinnung sowie in den fehlenden Ökodesign-Ansätzen, also Design für Recycling, liegen. Wir gehen diese Herausforderungen in SUSMAGPRO an und arbeiten bereits an weiteren Wegen, um nachhaltigere und widerstandsfähigere Wertschöpfungsketten für Permanentmagnete in Europa zu etablieren. Die Sensibilisierung von Gesellschaft, Politik und Industrie für diese Problematik ist dabei einer der Schlüssel.