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„Es gibt bis heute keine Verpflichtung das Trinkwasser auf PFC zu untersuchen“

Im Gespräch mit Wilfried Ludwigs und Olaf Kaspryk

Per- und polyfluorierte Chemikalien (PFC) können vom menschlichen Körper nicht oder nur sehr langsam abgebaut werden. Sie häufen sich an und können ab einer entsprechenden Konzentration Krankheiten auslösen. Mitte 2012 entdeckten die Mitarbeiter der Stadtwerke Rastatt PFC im Rohwasser für die Trinkwasserbereitung des Wasserwerkes Rauental. Die TRANSFER hat sich mit Wilfried Ludwigs (Steinbeis-Transferzentrum Mittelstand) und Olaf Kaspryk (Stadtwerke Rastatt GmbH) darüber unterhalten, wie die konkrete Schadensbekämpfung und die seitdem gezogenen Konsequenzen aussahen.

Ein Online-System zeigt die bundesweite Bedrohung durch PFC-Schadenfälle – eine europaweite Übersicht könnte sehr nützlich sein (www.stadtwerke-rastatt.de/pfc-schadensfalluebersicht)

 

Herr Kaspryk, wie genau ist es zur Entdeckung von PFC im Wasserwerk Rauental gekommen?

Es ist per Zufall entdeckt worden, denn es gibt bis heute keine Verpflichtung das Trinkwasser auf PFC zu untersuchen: Unsere Mitarbeiter haben eine Vollanalyse von Rohwasser für die Trinkwasserbereitung durchgeführt. Auch im benachbarten Wasserwerk Niederbühl wurden danach gefährliche Konzentrationen gemessen. Nur im Hauptwasserwerk Ottersdorf waren die Schadstoffe noch nicht nachweisbar. Durch die vorsorgliche Schließung der beiden Wasserwerke war aber die Trinkwasserversorgung für die Bürger von Rastatt massiv gefährdet.

Mutmaßliche Ursache war eine großflächige Verteilung einer Mischung von Biokompost und PFC-haltigen Abfällen aus der Papierproduktion. Derzeit sind mehr als 1.150 ha landwirtschaftlicher Fläche in den Kreisen Baden-Baden und Rastatt davon betroffen. Hätten wir das nicht rechtzeitig entdeckt, hätten die Bürger noch jahrelang eine gesundheitsgefährdende PFC-Menge in ihrem Körper angesammelt und es wäre erst durch eine erhöhte Krankenzahl vielleicht festgestellt worden.

Was haben Sie daraufhin unternommen?

Die Stadtwerke Rastatt haben die Anzahl der Grundwassermessstellen enorm erhöht und regelmäßige Grundwasseruntersuchungen im Vorfeld der Wasserwerke durchgeführt, um die Grundlagen für ein entsprechendes Grundwassermodell zu erhalten. In einem Forschungsvorhaben wurde ein Anlagenkonzept für die PFC-Entfernung im Wasserwerk Rauental entwickelt und getestet. Für das Vorfeld von Ottersdorf wurde ein spezielles Grundwassermodell erstellt, das die Wirkungszusammenhänge standortspezifisch beobachtet und analysiert. Es ging zunächst um die Frage, wann und in welchem Umfang das einzige seinerzeit noch voll funktionstüchtige Wasserwerk in Ottersdorf von der kontaminierten Grundwasserfahne erreicht wird. Wie gesagt haben wir die betroffenen Wasserwerke in Rauental und Niederbühl sofort geschlossen. Selbsthilfe und Eigeninitiative war unsere Strategie. Den Schwerpunkt haben wir auf die Recherche von Schadenfällen und die Kontaktaufnahme mit Betroffenen gelegt. Mit der Unterstützung des Steinbeis-Transferzentrums Mittelstand konzipierten wir ein Expertenforum, in dem wir unsere Maßnahmenpläne mit Experten intensiv erörterten.

Herr Ludwigs, was waren die größten Herausforderungen beim ersten PFC-Expertenforum?

Zunächst sollte die aktuelle Situation den Teilnehmern vermittelt und dann die anstehenden Entscheidungen beurteilt werden. Dies erforderte den Wandel vom Konferenz- zu einem Workshopformat. Die mehr als 25 Expertinnen und Experten aus ganz Deutschland zeigten viel Interesse an den regionalen Besonderheiten und bestätigten die entwickelten Konzepte, das heißt regionale Vernetzung, systematisches Monitoring sowie neue Anlagen zur Rohwassersanierung.

Herr Kaspryk, im Rahmen des Forums ist auch die Idee einer Schadenfallübersicht entstanden, worum geht es dabei?

Die Teilnehmer unseres ersten Expertenforums 2015 appellierten an alle Wasserwerke in Deutschland in Eigeninitiative PFC-Tests durchzuführen, um die Unsicherheit über die Bedrohung durch PFC zu beenden. In diesem Zusammenhang erhielten wir mehr Informationen über Schadenfälle und Sanierungskonzepte für das Rohwasser. Bei der Vorbereitung des zweiten Expertenforums stellten wir fest, dass die bundesweite Bedrohung durch PFC immer noch nicht hinreichend bekannt war. Wir baten Herrn Ludwigs, die Struktur einer Schadenfallübersicht mit den Teilnehmern des Forums zu besprechen. Dabei wurde schon klar, dass PFC als Teil der sogenannten Spurenstoffe eine permanente Herausforderung für den Gewässerschutz sind. Beim zweiten Expertenforum 2017 zeigte sich, dass eine Schadenfallübersicht Transparenz schaffen und den systematischen Erfahrungsaustausch der Betroffenen unterstützen würde.

Wir waren sehr froh, dass das Steinbeis-Transferzentrum Mittelstand bereit war eine Schadenfallübersicht zu konzipieren und Basisdaten zu ermitteln. Im Vorfeld des dritten Expertenforums 2019 haben wir uns entschieden, eine PFC-Schadenfallübersicht als Informationsangebot der Stadtwerke Rastatt zu etablieren. Wir beauftragten das Steinbeis-Unternehmen die Datenbasis der PFC-Schadenfallübersicht zu prüfen und zu ergänzen. Die WebSmartWare GmbH realisierte ein Online-System, in dem die bundesweite Bedrohung und die verschiedenen Ursachen, zum Beispiel Löschübungen, Brandschäden, kontaminierter Kompost, industrielle Produktion, gezeigt werden. Das Steinbeis-Team hat die Inhalte recherchiert und veröffentlicht. Die Stadtwerke Rastatt bieten die PFC-Schadenfallübersicht als Verbraucherinformation und als Beitrag zur Fachkommunikation auf ihrer Internetseite an. Die Datenstrukturen wurden mit dem Umweltbundesamt (UBA) sowie dem Bundesumweltministerium besprochen. Im Rahmen des Forums wurde die Datenbasis dem UBA übergeben und die interaktive Datenbank mit Geodaten online gestellt.

Mittlerweile wurde die Europäische Wasserrahmenrichtlinie um weitere Grenzwerte für Spurenstoffe erweitert. Damit sind Schlüsselanliegen der PFC-Expertenforen erfüllt. Was soll nun mit einer europäischen Schadenfallübersicht für Spurenstoffe erreicht werden?

Wilfried Ludwigs:
Ausgehend von den bilateralen Aktivitäten mit Frankreich war uns schnell klar, dass eine europäische Spurenstoff-Schadenfallübersicht erforderlich ist. Wir erwarten aufgrund der neuen Regelungen, dass viele Wasserversorger – genauso wie die Stadtwerke Rastatt – in Europa handeln und nach Lösungen suchen müssen. Viele Privatpersonen und Gewerbebetriebe mit eigenen Brunnen benötigen erfahrungsgemäß eine schnelle Antwort, ob bei ihnen eine Bedrohung vorliegt. Das mehrsprachige Angebot sollte verschiedene Nutzergruppen ansprechen. Die Schwerpunkte liegen aus unserer Sicht auf Verbraucherschutz und Fachinformationen für Wasserversorger, zuständige Verwaltungen und Behörden. Ein Online-Meldesystem könnte die Ergebnisse der Wasserproben, den Fortschritt der Sanierung sowie die Berichterstattung zu Brandschäden veröffentlichen. Praktische Hilfeleistungen, zum Beispiel Probennahme und -auswertung sowie Online-Fachberatung, würden die Attraktivität des Angebots steigern.

Olaf Kaspryk:
Eine Botschaft unserer Foren war, dass die Finanzierung über Stiftungen, Fonds oder Versicherungen in Verbindung mit einem internationalen Kompetenzzentrum für Spurenstoffe eine schnelle und praktikable Lösung werden könnte. Angesichts der enormen Investitionen und zusätzlichen Betriebskosten stellt sich die Frage, wer bei PFC-Schadenfällen die „Zeche“ zahlt. In Rastatt sind es die Trinkwasserkunden, obwohl sie den Schaden gar nicht verursacht haben. Der Schutz unserer Umwelt, in diesem Fall der Grundwasserqualität, ist auch eine Frage der Gerechtigkeit.

Kontakt

Wilfried Ludwigs (Interviewpartner)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Transferzentrum Mittelstand (Bischweier)
www.STZ-Mittelstand.de

Olaf Kaspryk (Interviewpartner)
Geschäftsführer
Stadtwerke Rastatt GmbH (Rastatt)

215405-32