„Es braucht eine ganzheitliche Digitalisierungsstrategie“

Im Gespräch mit Andreas Owen, Gründer und Geschäftsführer der wirsindhandwerk gmbh

Wenn man ans Bauhandwerk denkt, hat man unweigerlich schwere, analoge Baumaschinen vor Augen. Aber auch diese Branche kommt nicht umhin, sich mit dem Thema der Digitalisierung auseinanderzusetzen und neue Wege zu gehen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Aber wie digital ist das Handwerk insgesamt und das Bauhandwerk insbesondere? Diese Frage hat sich Andreas Owen, Gründer und Geschäftsführer der wirsindhandwerk gmbh, gestellt und mit seinem Digitalisierungsbarometer erstmals ein Instrument zur Messung des Digitalisierungsgrades im Handwerk entwickelt. Im Interview mit der TRANSFER erzählt er, wie dieses Projekt entstanden ist, wie seine Umsetzung aussah und welche Veränderungen dessen Ergebnisse für die Handwerksbetriebe mit sich bringen.

Bildung des Gesamtdigitaliserungsgrades auf Basis der einzelnen Nutzungswerten der dargestellten Dimensionen. © wirsindhandwerk.gmbh

Das 360°-Modell der Digitalisierung im Bau- und Ausbauhandwerk © wirsindhandwerk.gmbh

 

Herr Owen, das Digitalisierungsbarometer für das Bau- und Ausbauhandwerk ist ein deutschlandweites Forschungsprojekt, das erstmalig den Digitalisierungsgrad im Handwerk analysiert. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Die Idee des Digitalisierungsbarometers entstand, als ich die Empfehlungsplattform wirsindhandwerk.de gegründet habe. Ich habe mir damals die Frage gestellt: Wie digital ist das Handwerk eigentlich? Es gab zwar zahlreiche Studien, aber keine, die einen umfassenden Blick auf das Handwerk geworfen hat. Und so ist die Idee einer 360-Grad-Betrachtung entstanden, die nicht nur das Handwerk selbst beleuchtet, sondern auch die Industrie, Endkunden, Jugendliche, Experten rund um das Handwerk sowie die Handwerksorganisationen miteinbezieht. Ziel der Studie war, die Digitalisierung der Handwerksbetriebe differenziert messbar und darüber hinaus auch die Gewerke vergleichbar zu machen. Beides konnten wir mit der Studie realisieren.

Wie sind Sie bei der Durchführung vorgegangen und was waren die größten Herausforderungen?

Gestartet sind wir mit zwei Kick-off-Workshops. Deren Ziel war, das betriebliche Digitalisierungsgeschehen der Gewerke zu strukturieren, um Dimensionen der Digitalisierung zu definieren. Für die einzelnen Dimensionen wurden anschließend verschiedene Indikatoren der Digitalisierung ausgewählt, anhand derer der Digitalisierungsgrad bestimmt werden konnte. In einer qualitativen Forschungsphase haben wir Gruppendiskussionen mit Besitzern von Wohneigentum beziehungsweise in der jüngeren Altersgruppe zur Hälfte auch mit entsprechender Anschaffungsabsicht durchgeführt. Dazu kamen strukturierte Telefoninterviews mit Inhabern von Betrieben aus den Bau- und Ausbaugewerken. Parallel dazu fanden Telefoninterviews mit Digitalisierungsexperten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Handwerksorganisationen statt. Im Rahmen der quantitativen Forschungsphase wurden Relevanzwerte zur Gewichtung des Digitalisierungsverhaltens der Betriebsinhaber ermittelt, die im weiteren Verlauf zur Berechnung des finalen Digitalisierungsgrades führten. Im Rahmen dieser quantitativen Forschungsphase haben wir 1.800 Inhaber von Handwerksbetrieben telefonisch, 1.000 Endkunden und 900 Jugendliche online befragt und die Ergebnisse anschließend ausgewertet.

Die größten Herausforderungen bestanden zum einen darin bei der Auswahl der Indikatoren darauf zu achten, dass diese von hoher Relevanz, inhaltlich verständlich, nachvollziehbar und von hoher Aktualität sind sowie das tatsächliche Verhalten abbilden. Zum anderen wollten wir auch Betriebe erreichen, die noch wenig digitalisiert sind. Daher war die Auswahl der Telefoninterviews als Befragungsmethode zwar deutlich aufwendiger, aber ein wesentlicher Baustein für die Ermittlung des tatsächlichen Verhaltens in Bezug auf die Digitalisierung.

Können Sie die für Sie wichtigsten Ergebnisse für unsere Leser kurz zusammenfassen? Welche davon sind auf vergleichbare Unternehmen außerhalb des Handwerks übertragbar?

Insgesamt kann man sagen, dass die Digitalisierung durchaus im Handwerk angekommen ist. Bei einem Gesamtdigitalisierungsgrad von 37 % sieht man aber auch, dass durchaus noch Luft nach oben ist. Die Einstellung zur Digitalisierung ist in den Gewerken des Baus und Ausbaus mehrheitlich positiv gefärbt und die durch die Digitalisierung angestoßenen Veränderungen werden überwiegend begrüßt. Große Unterschiede im Hinblick auf die Einstellung zur Digitalisierung und die betriebliche Umsetzung zeigen sich beim Alter der Betriebsinhaber und der Betriebsgröße. In den jüngeren Altersgruppen – unter 50 Jahre – steigt bei einem höheren Bildungsniveau und mit Zunahme der Betriebsgröße die Bedeutung der Digitalisierung erheblich an. Betrachtet man die einzelnen Digitalisierungsdimensionen, dazu gehören Betriebsführung und -entwicklung, Marktkommunikation, Geschäfts- und Verwaltungsprozesse sowie betriebliche Leistungserbringung, ist der Digitalisierungsgrad in keiner Dimension zufriedenstellend. Am weitesten fortgeschritten ist die Digitalisierung bei den Geschäfts- und Verwaltungsprozessen.

Großer Nachholbedarf besteht bei der Entwicklung einer ganzheitlichen Digitalisierungsstrategie: Digitalisierung scheint bislang eher ad hoc stattzufinden und führt deswegen oftmals zu Schwierigkeiten bei der Überwindung von Schnittstellen. Um jedoch stringent und nachhaltig Digitalisierungsmöglichkeiten implementieren zu können, braucht es eine ganzheitliche Digitalisierungsstrategie.

Aus Sicht der Gewerke sind es vor allem Elektro, Sanitär-Heizung-Klimatechnik sowie Schreiner / Tischler, die einen überdurchschnittlichen Digitalisierungsgrad aufweisen. In Bezug auf neue Geschäftsmodelle ist die Dynamik zwar noch nicht sehr hoch, aber diese Modelle werden zunehmend in das Angebotsportfolio integriert. Digitale Technologien zur Unterstützung bei der handwerklichen Leistungserbringung haben derzeit noch keine hohe Relevanz. Auch die künstliche Intelligenz als kommende Basistechnologie für viele neue digitale Anwendungen ist noch nicht ausreichend in das Bewusstsein der Betriebsinhaber vorgedrungen. Die Betrachtung der Digitalisierung eines Betriebes beziehungsweise eines Unternehmens anhand der Wertschöpfungskette, also der einzelnen Dimensionen, ist auch für vergleichbare Unternehmen außerhalb des Handwerks interessant. Auch die Erkenntnis, dass es für eine nachhaltig erfolgreiche Digitalisierung eine Digitalisierungsstrategie braucht, ist auf andere Unternehmen übertragbar.

Was sind die aus Ihrer Sicht notwendigen Konsequenzen für die Betriebe und die Handwerksorganisationen?

Der schon jetzt greifende signifikante Strukturwandel im Handwerk trifft kleine, familiengeführte Handwerksbetriebe, die mittelfristig vor einer Betriebsübergabe stehen oder die notwendigen Investitionen in die Zukunft nicht mehr leisten können, in besonderer Weise. Hierdurch können über Generationen aufgebaute handwerkliche Fähigkeiten verloren gehen. Für den Erhalt dieser Betriebe ist es daher von hoher Bedeutung, die gewachsene handwerkliche Expertise mit den modernen Möglichkeiten der Digitalisierung zu verbinden. Bedenklich ist allerdings in diesem Zusammenhang der überaus skeptische Blick der Betriebsinhaber auf die digitalen Technologien. Hier sind zusätzliche Stützungs- und Aktivierungsmaßnahmen durch die Handwerksorganisationen unbedingt notwendig, um die digitale Spaltung in Zukunft nicht weiter voranzutreiben. Sowohl in der Leistungserbringung als auch in der Marktkommunikation sowie in der Betriebsführung und -entwicklung befinden sich diese Betriebe auf einem Digitalisierungsniveau, das unbedingt angehoben werden sollte. Auffallend ist, dass diejenigen Indikatoren der Digitalisierung, die aus Sicht der Experten eine besonders hohe Zukunftsrelevanz besitzen, nur sehr selten auch in den Betrieben genutzt werden beziehungsweise vorhanden sind. Das mag vielleicht zum einen darin begründet sein, dass es sich zum Teil um komplexere Anwendungen handelt, die auf einem noch selten in den Betrieben anzutreffenden Digitalisierungsniveau basieren. Vielleicht fehlt aber auch ein ganzheitlicher Blick darauf, was Digitalisierung bedeutet.

Die Endkunden erwarten heute ganz klar auch von einem Handwerksbetrieb, dass dieser digital aufgestellt ist. Dies beginnt bereits bei der Suche: Es hat sich gezeigt, dass 89% aller Endkunden einen Handwerksbetrieb bevorzugen, der im Internet gute Bewertungen hat. Jugendliche sind mit der Digitalisierung sozialisiert. Sie ist elementarer Bestandteil ihrer Lebenswelt. Insofern spielt auch bei der Nachwuchs- und Fachkräftesuche der „digitale Eindruck“ eines Betriebes eine ganz wichtige Rolle, ist allerdings nicht der zentrale Faktor zur Attraktivitätssteigerung, um einen Beruf im Bau- und Ausbauhandwerk zu ergreifen. Hier sollten in der Kommunikation weitere Aspekte wie Vereinbarkeit von Beruf mit Privat- und Familienleben oder andere lebensweltliche Themen noch stärker berücksichtigt werden.

Wie geht es nun konkret weiter, werden Sie das Digitalisierungsbarometer weiterentwickeln?

Das Digitalisierungsbarometer wurde mit dem Ziel angelegt, die Studie auch fortzuschreiben. Die aktuell vorliegenden Ergebnisse sind eine sogenannte Nullmessung und haben erstmals empirisch das nachgewiesen, was der eine oder andere schon intuitiv oder aus dem Erleben gespürt hat. Unser Bestreben ist natürlich die Studie fortzuschreiben. Hierfür sind wir wieder auf der Suche nach Unterstützern und Sponsoren, die sich an der Realisierung beteiligen und das Handwerk gemeinsam voran bringen wollen.


Mehr Informationen zum Digitalisierungsbarometer finden Sie unter www.digibarometer-handwerk.de


 

Kontakt

Andreas Owen (Autor)
Gründer und Geschäftsführer
wirsindhandwerk gmbh (Konstanz)

215405-15