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Diversity als Erfolgsfaktor im Unternehmen

Vielfalt und Chancengleichheit am Arbeitsplatz

Noch immer tun sich manche Unternehmen schwer damit, ältere Bewerber, Bewerber mit unterschiedlicher ethnischer oder soziokultureller Herkunft oder solche mit Behinderungen einzustellen. Dabei gibt es zahllose gute Beispiele dafür, wie derlei Verschiedenheiten harmonisch miteinander zu einem erfolgreichen Team entwickelt werden können, erläutert Steinbeiser Wolfgang Natzke.

„Garrincha“, ein Name, der für Brasilianer einen ungeheuren Wohlklang ausübt. Ein Name, der untrennbar mit den Fußball-WM-Titeln von 1958 und 1962 verbunden ist. Ein Name, dessen Inhaber manche – noch vor Pelé – für den besten Fußballer aller Zeiten halten. Dabei war der Erfolg Manuel Francisco dos Santos – so der richtige Name Garrinchas – alles andere als in die Wiege gelegt. 1933 im Urwald Brasiliens geboren, musste er sich mit zahlreichen Gebrechen herumschlagen: Von Geburt an war sein Rückgrat deformiert, obendrein war sein linkes Bein 6 cm kürzer als das rechte. Zahlreiche Operationen stellten zwar ihre Beweglichkeit so weit her, dass er damit laufen konnte, doch sein linkes Bein blieb ein O- und sein rechtes ein X-Bein. Mehr aus therapeutischen denn aus sportlichen Gründen begann er als Kind mit dem Fußball und entwickelte dabei ein Talent, das angesichts seiner körperlichen Einschränkungen die Menschen in Erstaunen versetzen musste. Garrincha foppte seine Gegner mit verrückt ausschauenden, slapstickartigen Dribblings, die ohne sein Handicap offenbar nicht möglich gewesen wären. Charlie Chaplin des Fußballs, so hat ihn der brasilianische Schriftsteller Nelson Rodrigues einmal genannt.

Eine Geschichte, die wie ein Lehrstück anmutet – auch über den Sinn und Nutzen von Diversität in der Wirtschaft und unserer Gesellschaft allgemein. Mag die Geschichte von Garrincha dabei als Beispiel dafür gelten, dass und wie Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen gewinnbringend für ein Team eingesetzt werden können, kann man auch den heutigen Profifußball allgemein als Blaupause dafür ins Feld führen, wie erfolgreiche Integration bei kulturellen Verschiedenheiten gelingen kann.

„Die kulturell vielfältigste Gruppe wird die besten Produkte hervorbringen“, hat Apple-Chef Tim Cook bereits 2015 erkannt. Der Konzern hatte sich bereits einige Jahre zuvor zu mehr Diversität verpflichtet. Um diese zu erhöhen, hat Apple im vergangenen Jahr verstärkt Asiaten (25 Prozent der Neueinstellungen), Latinos (15 Prozent) und Farbige (11 Prozent) eingestellt. Die Hälfte der Neuzugänge stammt aus „historisch im Technikbereich unterrepräsentierten Gruppen“, dazu zählt Apple „Frauen, Farbige, Latinos und amerikanische Ureinwohner“.

Gesellschaftliche Vielfalt ist mehr als nur ein Modewort und wird in immer mehr Unternehmen, Universitäten und politischen Interessengruppen auf unterschiedliche Weise ausgehandelt. Die aus Vielfalt und Heterogenität erwachsenden Potenziale werden zunehmend als Chance verstanden, innovative und kreative Prozesse in Forschung und Arbeit, Lehre und Studium, Gesellschaft und Politik freizusetzen. Neben den fachlichen Qualifikationen spielen in der heutigen Arbeitswelt aber auch die kommunikativen und sozialen Kompetenzen der Mitarbeiter eine zunehmend größere Rolle. In Deutschland initiierten bereits im Jahr 2006 vier Unternehmen die „Charta der Vielfalt“, die in dem programmatischen Schlusssatz gipfelt: „Wir sind überzeugt: Gelebte Vielfalt und Wertschätzung dieser Vielfalt hat eine positive Auswirkung auf die Gesellschaft in Deutschland.“ Träger der Initiative ist seit dem Jahr 2010 ein gleichnamiger Verein unter Schirmherrschaft der Bundeskanzlerin. Bis 2017 haben rund 2.700 deutsche Unternehmen – neben bekannten Großkonzernen auch kleine und mittlere Betriebe – sowie akademische und soziale Einrichtungen und Behörden die Charta unterzeichnet. Dabei handelt es sich um eine Selbstverpflichtung, mit der Arbeitgeber erklären, dass sie Chancengleichheit für ihre Beschäftigten herstellen beziehungsweise fördern werden. Die deutsche Wirtschaft, so die Überzeugung, könne infolge von Globalisierung und demografischem Wandel nur erfolgreich sein, wenn sie die Diversität der Beschäftigten nutzt. Ziel der Charta der Vielfalt ist folglich, ein betriebliches Arbeitsumfeld sowie eine geeignete Organisationskultur zu schaffen, in dem beziehungsweise der alle Beschäftigten die gleiche Wertschätzung und Förderung erfahren.

Als Grundlage zum Aufbau eines solchen Diversity-Managements kann ein vierstufiges Modell dienen, mittels dessen sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Beschäftigten erfassen und sie (be)greifbar werden lassen. Je weiter die Dimensionen dabei vom Kern des Modells entfernt sind, umso flexibler und wandelbarer sind sie. Naturgegeben steht dabei im Zentrum die jeweilige Persönlichkeit als erste Stufe. Um sie herum sind als zweite Stufe die „inneren Dimensionen“ angeordnet, die die Person nahezu unverkennbar kennzeichnen: Nationalität, ethnische Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter sowie sexuelle Orientierung und Identität. Die dritte Stufe bilden die „äußeren Dimensionen“. Neben Einkommen, Ausbildung und Berufserfahrung sind dies die persönlichen Gewohnheiten, das Freizeitverhalten, das Auftreten, der Familienstand, eine vorliegende Elternschaft sowie die geografische Lage. Die vierte Ebene schließlich sind die „organisationalen Dimensionen“, also Funktion, Arbeitsinhalte, Abteilungszugehörigkeit, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Gewerkschaftsmitgliedschaft, Arbeitsort und Management-Status. Zwar muss ein funktionierendes Diversity-Management alle genannten Dimensionen in einem ganzheitlichen Ansatz berücksichtigen, von besonderer Prägnanz dürften in der Praxis jedoch zumeist die „inneren Dimensionen“ sein.

Einen unschätzbaren Erfolgsfaktor in einer zunehmend globalisierten Welt stellt der wertschätzende Umgang mit der Herkunft und Multikultur der betrieblichen Belegschaft dar. Eine Wertschätzung, die im Übrigen keine Einbahnstraße sein muss – können doch gerade zum Beispiel die Fremdsprachen- und Kulturkenntnisse von Beschäftigten zum Schlüssel zu neuen, ausländischen Märkten werden.

Die Basis für eine funktionierende Zusammenarbeit von Menschen unterschiedlicher Herkunft kann dabei immer nur eine offene Organisationskultur sein, in der ein gegenseitiges Verständnis für Unterschiede und Gemeinsamkeiten besteht beziehungsweise gefördert wird. Zudem besteht auch hier die Chance, neue, bislang nicht explizit angesprochene Kundengruppen zu erschließen. Immer bedeutsamer wird auch der ausdrückliche Respekt gegenüber der individuellen Religion oder Weltanschauung eines Beschäftigten. So ist zunehmend zu beobachten, dass in Betrieben oder Organisationen die Feiertage unterschiedlicher Religionen berücksichtigt, entsprechende Essensangebote vorgehalten oder etwa „Räume der Stille“ eingerichtet werden. Der Beschäftigte, gleich welcher Religion er angehört, soll sich im Betrieb schließlich wohlfühlen.

Die Kategorie „Alter“ spielt angesichts des demografischen Wandels eine immer größere Rolle. Teammitglieder unterschiedlichen Alters verfügen über unterschiedliches Wissen und Erfahrungen – und können sich gegenseitig befruchten. Um zu gewährleisten, dass Beschäftigte möglichst bis zu ihrer Pensionierung im Betrieb bleiben, sind beispielsweise gute Arbeitsplatzbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten, aber auch Gesundheitsprogramme, die auf die Bedürfnisse unterschiedlicher Generationen abgestimmt sind, wichtig.

Unterstützen kann Diversity-Management auch dabei, die Fähigkeiten und besonderen Potenziale von Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen besser für den Betrieb nutzbar zu machen. Nur ein Stichwort in diesem Zusammenhang ist der barrierefreie Zugang zum Arbeitsplatz. Gleiches gilt für die sexuelle Orientierung. Erachteten viele Arbeitgeber diese in der Vergangenheit als reine Privatsache des Beschäftigten, erkennen inzwischen viele, dass ein aufgeschlossener Umgang mit diesem Aspekt viel Motivation und Energie freisetzen kann.

Gewissermaßen eine Doppelrolle im Diversity-Management spielt schließlich die Dimension „Geschlecht“. Angesichts des demografischen Wandels gelten Frauen hier zunehmend als in der Vergangenheit nicht genügend beachtetes und ausgeschöpftes Beschäftigungspotenzial. Des Weiteren kommen zahlreiche Studien zu dem Schluss, dass im Berufsleben immer wichtigere Schlüsselkompetenzen (u.a. Teamfähigkeit, Organisationstalent, Belastbarkeit) vermehrt Frauen zuzuschreiben sind. Ziel kann von daher nur sein, auch Frauen künftig verstärkt und anhaltend in allen Sektoren des Arbeitsmarkts einzusetzen.