- Steinbeis Transfer-Magazin - https://transfermagazin.steinbeis.de -

Raum für Querdenker

Ein Plädoyer für mehr Offenheit und Agilität

Nichts bleibt, wie es war. Das ist der Eindruck, den immer mehr etablierte Unternehmen angesichts von Trends wie Digitalisierung, Globalisierung und Klimaveränderung haben. In einer zunehmend komplexen Arbeitswelt werden diese Trends als Chance und Bedrohung zugleich empfunden. Größtenteils Konsens herrscht darüber, dass sich etwas verändern muss. Dies lässt sich aber nur mit Hilfe von Querdenkern und einer Unternehmenskultur, die das Querdenken zulässt, umsetzen. Wie diese gestaltet werden kann, darüber macht sich Steinbeiserin Alexandra Rudl (bwcon GmbH) Gedanken.

Größtenteils Konsens herrscht darüber, dass sich etwas verändern muss. An der Art und Weise, wie Produkte entwickelt werden – in schnelleren Entwicklungszyklen und von Anfang an nah an den Kundenbedürfnissen. Und auch an der Unternehmenskultur selbst – weg von starren Hierarchien, in denen das Management allwissend ist. Da letzteres in einer komplexen Umwelt schlichtweg unmöglich ist, wird Management immer mehr zur Aufgabe von allen: Jeder Mitarbeiter sollte im Idealfall das Unternehmen mitgestalten und durch eigene Ideen proaktiv zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit beitragen.

Schnelle Entwicklungszyklen und die genannten Elemente einer agilen Unternehmenskultur lassen sich aber nur umsetzen, wenn wir Querdenken erlauben. Dabei geht es nicht nur darum, punktuell Querdenker – oft als Intrapreneure bezeichnet – einzustellen und sich darauf zu verlassen, dass diese für neue bahnbrechende Geschäftsmodelle sorgen werden. Auch Querdenker können ihr kreatives Potenzial nur dann entfalten, wenn sie sich in einer Unternehmenskultur bewegen, die es dem Einzelnen ermöglicht sich einzubringen und – vor allem – ohne negative Konsequenzen scheitern zu dürfen. Denn wenn wir querdenken und dabei Neues entsteht, gibt es keine Sicherheit darüber, dass am Ende etwas Erfolgreiches dabei entsteht. Das heißt, wir bewegen uns in einem Kontext der Ungewissheit. Diese zu meistern und zuzulassen ist eine Herausforderung für Unternehmen, die bislang mit aller Kraft darum bemüht waren, die Stabilität und Sicherheit zu bewahren.

Aber wie können wir eine solche Kultur gestalten? Der erste Schritt ist bereits geschafft. Viele Unternehmen entwickeln derzeit ein Bewusstsein dafür, dass sie Freiräume schaffen und starre Hierarchien aufbrechen müssen. In diesem Kontext erinnert sich Alexandra Rudl an ein Zitat von einem Mitarbeiter aus einem etablierten Produktionsunternehmen aus Baden-Württemberg, der sinngemäß sagte, dass sein Unternehmen sich jahrzehntelang auf der sicheren Seite gefühlt habe. Das Unternehmen habe eine immense Infrastruktur und das Management sei daher lange davon überzeugt gewesen, dass niemand so schnell mit ihm konkurrieren könne. Nun zeigen jedoch Start-ups wie Airbnb und Uber, dass man auch ohne Infrastruktur einen Markt in kürzester Zeit komplett erobern kann. Diese Erkenntnis habe dazu geführt, dass man selbst handeln müsse, bevor es zu spät ist. Diesen Handlungsdruck nehmen Alexandra Rudl und ihre Kollegen in ihrer Arbeit im Unternehmensnetzwerk „Baden-Württemberg: Connected“ wahr, wo zum einen ein großes Interesse an der Kooperation mit Start-ups besteht und zum anderen die Nachfrage nach Innovationsworkshops steigt, in denen sich die Methoden aus dem Start-up-Umfeld und aus der agilen Softwareentwicklung erlernen lassen. Diese Methoden können als Anleitung zum Querdenken verstanden werden, da sie die bislang für richtig befundenen Verhaltensweisen und Strukturen radikal in Frage stellen.

Design Thinking etwa fordert dazu auf, in möglichst heterogenen Teams zusammenzuarbeiten, zunächst einmal alle Ideen zuzulassen und „wild“ zu denken. Eine beispielhafte Übung aus dem Design Thinking Konzept ist es, die Begrifflichkeit „Ja aber“ als Reaktion auf Ideen zu begraben und stattdessen ein „Ja und“ einzuüben. Effectuation dagegen fordert in frühen Innovationsphasen zum Nicht-Planen auf. Die aus der Entrepreneurship- Forschung stammende Effectuation-Logik besagt, dass wir in einem ungewissen Kontext – beispielsweise in der Entwicklung einer disruptiven Innovation – mit Planen nur Zeit verschwenden. Schließlich gibt es keine zuverlässigen Daten aus der Vergangenheit, mit denen sich lange Businesspläne schreiben lassen. Dies macht es oft unmöglich in einem frühen Stadium etwas über die Rentabilität einer Idee auszusagen. Effectuation empfiehlt daher in kleinen Schritten einfach mal loszugehen, basierend auf den aktuell verfügbaren Mitteln. Das neue Vorhaben wird gemeinsam mit Partnern auf dem Weg gestaltet, statt von Anfang an geplant zu sein. Und das Management? Einfach mal loszulegen, ohne zu wissen, was am Ende dabei rauskommt, und ohne zu wissen, ob es sich lohnt? Dafür konnte das Management in etablierten Unternehmen bislang nur schwer begeistert werden, weshalb es auch hier der Fähigkeit zum Querdenken bedarf. Den methodischen Ansatz dazu bietet Management 3.0, eine Methode, die aus der agilen Softwareentwicklung kommt und Management zur Aufgabe aller macht. Ähnlich wie Effectuation steht nicht die Planbarkeit und Vorhersagbarkeit im Fokus, sondern vielmehr die permanente Verbesserung des Unternehmens hinsichtlich Arbeitsbedingungen, Produktivität und Mitarbeiterzufriedenheit.

Nicht nur querdenken, sondern auch Hierarchien flexibilisieren, Scheitern ermöglichen, Ungewissheit zulassen – all dies sind wichtige Komponenten, um in unserer zunehmend komplexen Unternehmenswelt langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Dennoch sollten etablierte Unternehmen angesichts der Unmenge an „Buzz Words“ aus dem Startup- Umfeld nicht vergessen, sich auch auf ihre Stärken zu besinnen und die eigenen Bestrebungen zur Veränderung in eine Strategie einzubetten. Denn: Ein etabliertes Unternehmen ist kein Start-up und kann auch nicht mehr zu einem werden. Dafür hat es schlichtweg zu viele Mitarbeiter, etablierte Prozesse, über Jahre hinweg aufgebautes Know-how sowie entsprechende Ressourcen. Es gilt also vielmehr einen Weg zu finden, bei dem an den bestehenden Werten und Prozessen eines Unternehmens angeknüpft und gleichzeitig – inspiriert von Start-ups und entsprechenden Methoden – wieder mehr Agilität und Offenheit als Bestandteil der Unternehmenskultur eingeführt wird.